Im letzten Abschnitt ihrer Ausbildung absolvieren Medizinstudentinnen und Studenten und studierende Pflegefachpersonen der höheren Fachschulen eine mehrwöchige Rotation auf einer Station ihrer Wahl, um sich optimal auf den Berufseinstieg vorzubereiten. Wo immer möglich werden die Studierenden in den klinischen Alltag mit eingebunden, um sich die notwendigen Fertigkeiten anzueignen und einen konkreten Einblick in den klinischen Alltag zu erhalten. Dr. med. Franziska Busch, Oberärztin auf der Neonatologie der Kinderklinik bemängelt aber: «Im klinischen Alltag der Neonatologie nahmen unsere Medizinstudierenden bisher eine überwiegend beobachtende Rolle ein, ohne die Möglichkeit, Eigenverantwortung zu übernehmen. Wenn Sie dann nach Abschluss ihres Studiums in den Beruf einsteigen, fühlt sich die grosse Verantwortung an wie ein Sprung ins eiskalte Wasser.»
Erste Interprofessionelle Ausbildungsstation auf einer Neonatologie
Busch hat darum, zusammen mit Abteilungsleiter Prof Dr. med. André Kidszun und der Berufsbildungsverantwortlichen Julia Packmor die schweizweit erste Pädiatrische Interprofessionelle Ausbildungsstation (PIA) auf einer Neonatologie ins Leben gerufen. Im Berner Kinderspital können Studierende unterschiedlicher Berufsgruppen gemeinsam und eigenverantwortlich die Patientinnen und Patienten auf der Intermediate Care Station (IMC)1 betreuen. Neben Studierenden der Pflege und Medizin schliesst PIA auch Physiotherapeutinnen und Therapeuten ein, die ihr Examen zwar bereits absolviert, jedoch noch wenig Erfahrung in der Betreuung von neu- oder krankgeborenen Kindern gemacht haben.
Prof. Dr. med. André Kidszun, Abteilungsleiter der Neonatologie, sieht grosses Potential im interprofessionellen Ansatz der Ausbildung: «Im Gesundheitswesen, wo die gemeinsame Arbeit der vielen spezialisierten Fachpersonen Schlüssel zu guter Behandlung ist, sollte genau das intensiv und so früh wie möglich gemeinsam gelernt werden – die PIA ist eine großartige Chance für alle Beteiligten!»
Unter engmaschigen Betreuung durch erfahrene Fachpersonen übernimmt das PIA-Team die Visiten an vier bis sechs IMC-Betten und verordnet eigenverantwortlich die nötigen Therapien. Die Nachbesprechung und Feedbacks erfolgen interprofessionell mit den Berufsbildnern. Der Tagesablauf sieht eine tägliche interprofessionelle Teaching-Session vor, bei der die PIA-Teilnehmenden sich im gemeinsamen Austausch vertieft mit einem Thema auseinandersetzen. Neben der Anwendung des im Studium angeeigneten Fachwissens ist die Ausbildung von kommunikativen Fähigkeiten wesentlicher Bestandteil des PIA-Konzeptes.
Grosses Vertrauen der Eltern
Die Eltern der im Rahmen von PIA betreuten Kinder auf der Neonatologie werden vorgängig über das spezielle Setting informiert. Die Evaluation durch einen Fragebogen sei sehr positiv ausgefallen, resümiert Franziska Busch: «Die Eltern haben kein Problem damit, dass ihre Kinder von Studentinnen und Studenten betreut werden, im Gegenteil. Die Eltern begrüssen den hohen Personalschlüssel – zwei Pflegende und zwei Ärzte sind für vier bis sechs 6 Kinder zuständig, statt wie auf der normalen Station für 15 – und bemerken auch, dass die Auszubildenden ein sehr konkretes Augenmerk auf die Kinder werfen.»
Konzept wird fest eingeführt
Sowohl für die Studierenden wie auch für die Patientinnen und Patienten sei es von Vorteil, wenn Auszubildende bereits während der Ausbildung Eigenverantwortung übernehmen können, statt den Berufsbildenden überwiegend über die Schulter zu schauen. Ab Oktober 2024 soll das moderne Konzept der interprofessionellen Ausbildung mit allen 3 Berufsgruppen als fester Bestandteil der Ausbildung auf der Neonatologie im Kinderspital Bern etabliert werden.
Prof. Dr. med. Matthias Kopp, Chefarzt und Direktor Universitätsklinik für Kinderheilkunde, möchte das Ausbildungskonzept gar auf die ganze Kinderklinik ausdehnen: «Wir sind überzeugt, dass pädiatrische interprofessionelle Ausbildungsstationen ein wichtiger Beitrag sind, um dem Fachkräftemangel zu begegnen und das Inselspital als attraktiven Anziehungspunkt für Mitarbeitende aller Professionen zu stärken.»
1)IMC: Eine Behandlungsstufe zwischen Intensiv- und Normalstation. Die Patientinnen und Patienten bedürfen keiner intensivmedizinischer Behandlung, müssen aber intensiv pflegerisch betreut und in ihren Vitalfunktionen überwacht werden.