Spina bifida

Cordula Scherer

Spina bifida ist eine angeborene Fehlbildung, bei der sich Teile des Rückenmarks und der umgebenden Wirbelsäule nicht richtig entwickeln. Diese Fehlbildung tritt während der embryonalen Entwicklung auf. Es gibt verschiedene Formen von Spina bifida, von denen einige schwerwiegender sind als andere. Zu den möglichen Folgen gehören neurologische Probleme, Bewegungseinschränkungen sowie Blasen- und Darmfunktionsstörungen. Eine frühe Diagnose und interdisziplinäre Behandlung sind entscheidend für das bestmögliche Therapieergebnis.

Was ist eine Spina bifida?

Spricht man von Spina bifida, ist meist die Spina bifida aperta gemeint – umgangssprachlich auch ‹offener Rücken› genannt. Diese schwere angeborene Fehlbildung der Wirbelsäule entsteht bereits sehr früh in der Schwangerschaft, zwischen dem 22. und 28. Tag der embryonalen Entwicklung.

Normalerweise schliesst sich in den ersten Wochen das sogenannte Neuralrohr – die Vorstufe von Gehirn und Rückenmark – vollständig. Bei einer Spina bifida verläuft dieser Verschluss jedoch nicht korrekt ab. 1

Von der Fehlentwicklung können das Rückenmark und die schützenden Rückenmarkshäute betroffen sein. In schweren Fällen liegen Teile des Rückenmarks ungeschützt frei. Dies kann zu gravierenden Nervenschädigungen wie Lähmungen oder anderen Beeinträchtigungen führen.

Wie stark die Folgen sind, hängt oft davon ab, an welcher Stelle der Wirbelsäule der Defekt liegt: Je tiefer am Rücken die Fehlbildung ist, desto geringer sind in der Regel die neurologischen Einschränkungen. Am häufigsten ist das lumbale Rückenmark im Bereich der Lendenwirbelsäule betroffen.

Welche Formen der Spina bifida werden unterschieden?

Die Spina bifida wird je nach Schweregrad des Defekts und Beteiligung von Rückenmark und seinen Hüllen unterschieden in:

  • Spina bifida occulta – eine meist milde Form, oft ohne sichtbare äussere Anzeichen
  • Meningozele – eine Vorwölbung der Rückenmarkshäute durch eine Öffnung in der Wirbelsäule
  • Myelomeningozele – die häufigste und schwerste Form, bei der Rückenmark und Rückenmarkshäute durch die Öffnung hervortreten
  • Lipomyelomeningozele – eine seltene Form, bei der Fettgewebe in Verbindung mit dem Rückenmark durch die Öffnung dringt

Spina bifida occulta

Unter dem Begriff Spina bifida occulta werden alle Formen der spinalen Fehlbildungen zusammengefasst, bei denen der neurale Defekt von Haut bedeckt ist. Es handelt sich also um eine sehr milde Form der Spina bifida, die von aussen nicht unbedingt sichtbar ist. Die geschlossene Form der Spina bifida wird oft nur durch Zufall entdeckt, denn es können anfangs keine oder nur geringfügige Symptome auftreten.

Bei der Spina bifida occulta liegt eine Bogenschlussstörung einzelner Wirbelkörper vor. Das bedeutet, dass die knöchernen Wirbelbögen nicht vollständig geschlossen sind. Solange das Rückenmark dabei normal verläuft, ist keine Behandlung notwendig.

In manchen Fällen liegt das Ende des Rückenmarks jedoch etwas tiefer als gewöhnlich. Normalerweise endet es oberhalb des ersten Lendenwirbels. Befindet es sich weiter unten und ist zusätzlich das Filum terminale (ein nervenfreier Ausläufer des Rückenmarks) mit den Rückenmarkshäuten fest verbunden, spricht man von einem sogenannten «tethered cord» (auf Deutsch «angeheftetes Rückenmark»).

Tethered-Cord-Syndrom

Spina bifida mit Meningozele

Bei dieser eher seltenen Form drücken sich die schützenden Häute des Rückenmarks (Meningen) durch den knöchernen Defekt in der Wirbelsäule nach aussen. Es entsteht eine sichtbare sackartige Ausstülpung. Das Rückenmark selbst bleibt jedoch intakt.

Die Spina bifida mit Meningozele tritt meistens im Bereich der Lendenwirbelsäule oder im Kreuzbeinbereich auf. Eine Spina bifida mit Meningozele kann leichte Beeinträchtigungen verursachen. Eine chirurgische Behandlung verhindert in der Regel weitere Schäden oder Komplikationen.

Spina bifida mit Myelomeningozele

Dies ist die schwerste Form der Spina bifida, bei der nicht nur die Rückenmarkshäute, sondern auch Rückenmark und Nerven durch die offene Stelle in der Wirbelsäule nach aussen treten und einen Sack im Bereich des Rückens bilden.

Diese Fehlbildung kann über die gesamte Wirbelsäule auftreten, am häufigsten jedoch im Bereich der Lendenwirbelsäule und des Kreuzbeins – etwa 75 % der Fälle liegen hier.

Da Nerven betroffen sind, kann diese Form der Spina bifida zu erheblichen körperlichen und neurologischen Beeinträchtigungen führen, einschliesslich motorischer und sensorischer Ausfälle, Darm- und Blasenstörungen sowie einem Hydrozephalus

Eine frühzeitige chirurgische Intervention ist in der Regel erforderlich, um den Defekt zu schliessen und Infektionen oder weitere Schäden des freiliegenden Gewebes zu verhindern.

Spina bifida mit Lipomyelomeningozele

Bei der Spina bifida mit Lipomyelomeningozele ist das Rückenmark teilweise mit Fettgewebe (Lipom) verwachsen und stülpt sich zusammen mit den Rückenmarkshäuten durch einen Wirbelfehlbereich nach aussen. 

Diese Form kann Nerven beeinträchtigen und wird häufig im Lenden- oder Kreuzbeinbereich gefunden. 

Eine individuelle Untersuchung entscheidet, ob eine Behandlung notwendig ist.

Spinales Lipom

Wie häufig ist eine Spina bifida?

Weltweit tritt eine Spina bifida bei etwa 1 von 1.000 Lebendgeburten auf. Die Häufigkeit ist jedoch stark abhängig von der Region und insbesondere von der Folsäurezufuhr in der Schwangerschaft.

In Ländern, in denen Lebensmittel wie Mehl mit Folsäure angereichert werden (z. B. USA, Kanada, viele Länder in Lateinamerika), ist die Rate deutlich niedriger – etwa 0,5 von 1.000 Geburten.

In Ländern wie der Schweiz, wo Frauen die Folsäure individuell über Tabletten einnehmen, liegt die Häufigkeit bei etwa 0,8 bis 1,0 von 1.000 Geburten.

Was ist die Ursache für eine Spina bifida?

Eine Spina bifida entsteht durch ein Zusammenspiel von genetischen Faktoren, Umwelteinflüssen und vor allem einem Folsäuremangel während der Frühschwangerschaft. Eine ausreichende Folsäureaufnahme kann das Risiko einer Spina bifida also senken. [2],[3]

Was sind die Symptome einer Spina bifida?

Die Symptome einer Spina bifida können je nach Schweregrad und Lage des Neuralrohrdefekts stark variieren. Sie können von leichten körperlichen Beeinträchtigungen bis hin zu schweren motorischen und sensorischen Störungen reichen

Ist das Rückenmark betroffen, sind mögliche neurologische Probleme:

  • Muskelschwäche
  • Lähmungen der Beine
  • sensorische Störungen
  • orthopädische Anomalitäten wie Skoliose oder Fehlbildungen der Füsse (Klumpfuss)
  • Blasen- und Darmfunktionsstörungen
  • Hydrozephalus (eine Ansammlung von Hirnwasser im Gehirn, die zu erhöhtem Hirndruck führen kann)

Wie wird eine Spina bifida diagnostiziert?

Die Diagnose wird meist während der Schwangerschaft gestellt, kann aber auch erst nach der Geburt erfolgen.

Während der Schwangerschaft

Eine Spina bifida kann während der Schwangerschaft im Rahmen einer Ultraschalluntersuchung (Sonografie) festgestellt werden.

Bei Kindern mit einer Myelomeningozele (MMC) entwickelt sich in etwa 80 % der Fälle ein Hydrozephalus. Dieser entsteht, weil durch die Fehlbildung ständig Hirnwasser (Liquor) verloren geht. Dadurch rutschen das Kleinhirn und der Hirnstamm nach unten in den Spinalkanal ab. Dies führt zu einer Störung der normalen Zirkulation des Hirnwassers. Diese typische Veränderung wird als Chiari-Malformation Typ II bezeichnet und ist eine direkte Folge der MMC.

Chiari-Malformation Typ II

Im zweiten Schwangerschaftsdrittel (2. Trimester) lassen sich diese Veränderungen im Ultraschall erkennen. Zwei typische Zeichen sind:

  • Banana sign: Das Kleinhirn und der Hirnstamm krümmen sich bogenförmig nach unten – ähnlich wie eine Banane.
  • Lemon sign: Der Schädel wirkt in der Frontalansicht nicht mehr rund, sondern vorne etwas eingedellt und abgeflacht – ähnlich wie eine Zitrone.

Eine Spina bifida kann in der Schwangerschaft nicht nur im Ultraschall, sondern auch mit einem Bluttest (Alpha-Fetoprotein, AFP) erkannt werden. Ein erhöhter AFP-Wert weist auf ein mögliches Risiko für einen offenen Neuralrohrdefekt hin und wird durch weitere Untersuchungen abgeklärt.

Nach der Geburt

Wurde eine Spina bifida nicht bereits in der Schwangerschaft erkannt, kann sie auch nach der Geburt festgestellt werden. Typische äußere Anzeichen sind:

  • eine sichtbare Verformung der Wirbelsäule,
  • ein flüssigkeitsgefüllter Beutel oder eine Zyste am Rücken,
  • oder neurologische Auffälligkeiten, zum Beispiel Schwäche in den Beinen oder Probleme mit Blase und Darm.

Zur genauen Abklärung wird in der Regel ein Ultraschall durchgeführt. In bestimmten Fällen kommt zusätzlich eine Magnetresonanztomografie (MRT/MRI) zum Einsatz. Damit lässt sich die genaue Lage und das Ausmass der Fehlbildung beurteilen.

Eine frühzeitige Diagnose ist sehr wichtig, um die bestmögliche Behandlung und Betreuung für das Kind zu gewährleisten.

Wie wird eine Spina bifida behandelt?

Die Behandlung hängt vom Schweregrad ab und kann Operationen sowie unterstützende Therapien umfassen. Sie erfolgt immer interdisziplinär durch ein Team aus verschiedenen Fachrichtungen, um die bestmögliche Betreuung zu sichern.

Operation

Aufgrund des offenen Rückenmarks besteht beim Neugeborenen mit einer Spina bifida aperta ein erhebliches Infektionsrisiko. Die chirurgische Behandlung zielt darauf ab, den Defekt zu schliessen, um dieses Risiko zu senken und eine weitere Schädigung des Rückenmarks und der umgebenden Nervenfasern zu vermeiden. Idealerweise wird ein solcher Eingriff so früh wie möglich nach der Geburt durchgeführt. 4

Die Operation erfolgt in der Regel innerhalb der ersten 48 Stunden nach der Geburt. Dabei wird das freiliegende Rückenmark vorsichtig von den Hauträndern gelöst. Anschliessend wird die Rückenmarkshaut (Dura) freigelegt und das Rückenmark ohne Zug geordnet («tubularisiert»). Danach wird die Dura wieder verschlossen, manchmal mit Hilfe eines künstlichen Implantats, wenn der Defekt sehr gross ist. Zum Schluss wird die Haut über dem Defekt verschlossen.

Wenn zusätzlich ein Hydrozephalus vorliegt, wird dieser in den darauffolgenden Tagen behandelt. Hierbei wird meist ein Shunt-System eingesetzt: Ein feiner Katheter mit Ventil leitet das überschüssige Hirnwasser (Liquor) aus den Hirnkammern über einen Schlauch in den Bauchraum ab. Dieses Verfahren nennt man ventrikuloperitonealer Shunt (VP-Shunt).

Fetale Chirurgie

Seit den 1990er-Jahren besteht die Möglichkeit, eine Myelomeningozele bereits im Mutterleib zu operieren. 4

Dieser Eingriff wird jedoch nur in wenigen hochspezialisierten Zentren angeboten. Dabei werden zwischen der 25. und 27. Schwangerschaftswoche die Gebärmutter eröffnet und das Rückenmark des ungeborenen Kindes im Mutterleib verschlossen. Die Operationstechnik ähnelt dem Vorgehen nach der Geburt. 3

Prevention of neural tube defects: results of the Medical Research Council Vitamin Study. MRC Vitamin Study Research Group. Lancet. 1991 Jul 20;338(8760):131-7.

 Nach dem Eingriff bleibt die werdende Mutter zur bestmöglichen Überwachung im Spital. 5

Eine grosse US-amerikanische Studie aus den 1990er-Jahren, die sogenannte MOMS-Trial-Studie, konnte zeigen, dass durch die frühe Operation bei etwa 80 % der Kinder mit MMC die Entstehung eines Hydrozephalus vermieden werden kann. Die motorische Entwicklung sowie die Funktion von Blase und Darm sind jedoch ähnlich wie nach einer Operation nach der Geburt.

In den letzten Jahren setzen sich zunehmend auch minimalinvasive, endoskopische Verfahren («Schlüssellochchirurgie») durch. Diese schonendere Technik ist für die Mutter deutlich risikoärmer. 6

Für das Baby ist der Eingriff allerdings technisch anspruchsvoller: Alle Schichten müssen exakt verschlossen werden, um Komplikationen zu vermeiden. Wenn Haut in das Rückenmark eingeschlossen wird, können sogenannte Dermoide entstehen, die später Probleme bereiten.

 

Nachsorge

Etwa drei Wochen nach der Operation kann das Neugeborene in der Regel nach Hause entlassen werden. Danach erfolgt die enge Anbindung an unsere interdisziplinäre Spezialsprechstunde (Neurologie, Kinderchirurgie, pädiatrische Neurochirurgie). 

Zur Nachsorge der operierten und nichtoperierten Kinder gehören regelmässige klinische Kontrollen. Die Einstellung des Shunt-Systems wird individuell überwacht und angepasst. Zusätzlich erfolgen Untersuchungen der Blase (sogenannte Urodynamik), um mögliche Funktionseinschränkungen durch die Rückenmarksfehlbildung frühzeitig zu erkennen und gezielt behandeln zu können.

Die Einbeziehung der betreuenden Kinderärzte und Therapeuten ist ebenfalls von entscheidender Bedeutung, um eine bestmögliche Versorgung und Rehabilitation zu gewährleisten.

Wie ist die Prognose bei Spina bifida?

Die Prognose bei Spina bifida ist sehr individuell und hängt vor allem davon ab, auf welcher Höhe der Wirbelsäule die Fehlbildung liegt.

Eine frühe Behandlung ist entscheidend. Die Kinder und ihre Familien werden in der Regel von Geburt an bis ins Jugendalter (ca. 16. Lebensjahr) durch ein interdisziplinäres Team begleitet.

Wichtige Bestandteile der Betreuung sind:

  • Physiotherapie zur Förderung der Beweglichkeit,
  • ein gezieltes Blasen- und Darmmanagement,
  • die Überwachung der Kopfentwicklung, insbesondere bei einem Hydrozephalus.

Häufig sind Hilfsmittel notwendig, z. B. Schienen für die Unterschenkel, um die Beine zu stabilisieren und das Gehen zu unterstützen. Mit zunehmendem Alter steht die individuelle Mobilität im Mittelpunkt, da sie entscheidend für die altersgerechte Entwicklung und die Lebensqualität ist.

Referenzen

  1. Copp AJ, Adzick NS, Chitty LS, Fletcher JM, Holmbeck GN, Shaw GM. Spina bifida. Nat Rev Dis Primers. 2015 Apr 30;1:15007. doi: 10.1038/nrdp.2015.7.
  2. Mitchell LE, Adzick NS, Melchionne J, Pasquariello PS, Sutton LN, Whitehead AS. Spina bifida. Lancet. 2004 Nov 20-26;364(9448):1885-95. doi: 10.1016/S0140-6736(04)17445-X.
  3. Prevention of neural tube defects: results of the Medical Research Council Vitamin Study. MRC Vitamin Study Research Group. Lancet. 1991 Jul 20;338(8760):131-7.
  4. Adzick NS, Thom EA, Spong CY, Brock JW 3rd, Burrows PK, Johnson MP, Howell LJ, Farrell JA, Dabrowiak ME, Sutton LN, Gupta N, Tulipan NB, D'Alton ME, Farmer DL; MOMS Investigators. A randomized trial of prenatal versus postnatal repair of myelomeningocele. N Engl J Med. 2011 Mar 17;364(11):993-1004. doi: 10.1056/NEJMoa1014379.
  5. Van Calenbergh F, Joyeux L, Deprest J. Maternal-fetal surgery for myelomeningocele: some thoughts on ethical, legal, and psychological issues in a Western European situation. Childs Nerv Syst. 2017 Aug;33(8):1247-1252. doi: 10.1007/s00381-017-3446-6.
  6. Thompson DNP, De Vloo P, Deprest J. Fetal Surgery for Myelomeningocele: Neurosurgical Perspectives. Adv Tech Stand Neurosurg. 2023;47:25-48. doi: 10.1007/978-3-031-34981-2_2.